München den 1. Februar 1930 Rauchstr. 8. Lieber Herr Kneser, Ich habe gerade vor einigen Tagen Ihrer Frau Mutter geschrieben, um ihr zu sagen, wie sehr ich durch das so plötzliche Ableben Ihres Vaters mit dem ich gerade vor wenigen Wochen Briefe gewechselt hatte, erschüttert ge- wesen bin. Ich kannte ihn seit 1901 & war durch das gemeinsame Interesse für die Variationsrechnung auch wissenschaftlich mehr mit ihm verbunden als es sonst der Fall gewesen wäre. Ich würde mich natürlich freuen, wenn ich auf irgend einem Wege beitragen könnte das letzte Werk Ihres Vaters zum Abschluss zu bringen. Man müsste aber einen Weg finden, um die Karriere von Dr Kowallik, falls er wirklich Talent haben sollte, nicht zu ver- bauen. Hier in München sind die Aussichten ganz schlimm ; wir haben bei Frequenzen von 2 – 300 Hörern in einem Kolleg einen einzigen Vollassistenten für das ganze Institut und haben mit unendlicher Mühe
|
|
das Geld für einen weiteren 1/2 Assistenten erwirken kön- nen, weil augenblicklich im historischen Seminar der Assis- tent ein anderweitig besoldeter Archivar ist. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass Dr Kowallik hier weiter kommen kann. Er müsste also Aussicht haben sich in Breslau zu habilitieren. Es wäre daher das Beste, wenn Sie zu- erst Ihre Bemühungen in der Richtung Breslau diri- gieren wollten, z. B. über Rademacher. Von mir aus wür- den Sie jede Unterstützung finden. Es ist nur noch eine Schwierigkeit ! Ich bin Begriff über die Osterferien nach Athen zu fahren, wo ich von der dortigen Rasierung gebeten worden bin an der Reform der dortigen Universität mich zu beteiligen. Es ist möglich, dass ich erst Mitte oder Ende Mai nach München zurückkehre. Mit bestem Gruss Ihr ergebener C. Carathéodory |
|